AppTRAdiNOIYoungle

ORIGINAL Depressione STOP! » Peer-Selbsthilfe via App auch in Trient (Süditirol): TRA-di-NOI! (SCHWEIZ - siehe darunter).

Peer-Selbsthilfe

via YOUNGLE-Chat in Trient

(Süditirol): TRA-di-NOI!

Die app-gestützte Linderung-4.0 des Unbehagens Jugendlicher. Interview mit Linda Tovazzi, Sprecherin des innovativen Südtiroler Projekts zur Vorbeugung und Gesundheitsförderung für Jugendliche “TRA-di-NOI Youngle” ("dt. UNTER-UNS") Trient.

Wir erleben heutzutage täglich, wie sich vor unseren Augen der Übergang in eine von Zygmunt Bauman vorhergesehene “verflüchtigten Gesellschaft” abspielt. In einer solchen sind nunmehr ein grosser Brocken Zeit, mitsamt der in ihr verausgabten intellektuellen und emotionalen Energie, bereits in die digitale Welt ausgelagert worden. Inmitten dieser fortlaufenden Umwälzung wurden viele vor die Frage gestellt: «Unterwerfen wir uns diesen Veränderungen oder nutzen wir den Strom?». Beim Verein für Gegenseitige Selbsthilfe A.M.A. (Associazione Auto Mutuo Aiuto) in Trient (Trentino-Südtirol, Italien) entschloss man sich, in diesen Veränderungen mitzuschwimmen, und so die jüngeren Personen über die Online-Kanäle zu erreichen. Diese verlassen mittlerweile ihr Zuhause nie mehr ohne Smartphone. Die Bühne des Internets wollte man nun zudem mittels einer spezifischen App nutzen: TRA-di-NOI Youngle.

Die App erlaubt es, das, was Selbsthilfe beinhaltet - also Räume des Zuhörens, der gemeinsamen Betrachtung und der Ermutigung - zur Verfügung zu stellen und auf neue Art anzubieten. Dies versteht sich ganz im Gegensatz zu den auf den Social Media-Kanälen vorherr- schenden Ausgrenzungen, Wettkämpfen und Aggressionen.

Das motivierte mich, mich mit Linda Tovazzi, zu unterhalten, um von ihr mehr über diese zeitgemässe Initiative zu erfahren. Sie ist nämlich die Sprecherin des innovativen Südtiroler Projekts für Vorbeugung und Gesundheitsförderung für Jugendliche “TRA-di-NOI Youngle” (“dt. UNTER-UNS”) Trient.

W.: – Linda, Du betreibst die Koordination des Jugendlichen gewidmete Selbsthilfe-Projekts “TRA-di-NOI Youngle Trient”- kannst du uns erzählen worum es sich dabei handelt?

 

– “TRA-di-NOI Youngle Trient” ist ein Projekt, welches 2016 aus einer Zusam-menarbeit zwischen mit dem AMA-Verein, den Gesundheitsbehörden der Provinz, dem Dienst für Jugendpolitiken der Gemeinde Trient und dem Verein “Carpe Diem” entstand. Es dient der Vorbeugung und Gesundheitsförderung für Jugendliche.

Das Projekt bezweckt, ein Gehör, eine Ermutigung und eine Unterstützung von Jugendlichen in Problemlagen anzubieten – und zwar sowohl on- wie off-line. On-line bieten wir einen anonymen und kostenlosen Chat mittels der italienischen Youngle-App von und für Kids an (Download s. Anhang).

Der Dienst ist montags und donnerstags zwischen 20:00 und 22:00 aufgeschaltet. Off-line haben wir eine Selbsthilfe-Gruppe Jugendlicher geschaffen, die sich selber face-to-face in unseren Räumlichkeiten trifft.

W.: – Toll, da scheint es sich um eine echte Neuerung zu handeln! Hierbei scheint ihr euer örtliches Selbsthilfe-Angebot auf den Sozialen Medien-Kanälen durch einen Anschluss an das italienweite “Youngle”-Netzwerk erweitert zu haben. Was ist da dazugekommen?

L.: – Bereits 2018 wurde “TRA-di-NOI” Teil des italienweiten “Youngle”-Netzwerks, einem seit 2012 bestehenden Projekts der Region Toscana, das vom Gesundheits-Ministerium angestossen wurde. Hiermit wird Jugendlichen (und noch Jüngeren) eine Dienstleistung angeboten, die Zuhören, Lebenshilfen und Beratungen umfasst. Sie wird durch Peer-Aufklärer aufrecht erhalten (die m. a. W. vom Alter, der Kultur, den Erfahrungen und dem Status her ähnlich sind). Wer auch immer von diesen auf ein Hilfegesuch antwortet, erhält eine jede Phase begleitende Supervision durch Fachleute der Vorbeugung und Gesundheits- Förderung (Psychologen, Ärzte, Pädagogen, Soziologien, etc.).

Initial erfolgte das online-Zuhören bei TRA-di-NOI über die Sozialen Medien (Facebook, Instagram, Telegram) und über ein Forum das in unserem Sitz tagte. Mittlerweile wird hierzu die app Youngle verwendet, die digitales Zuhören rasch und einfach zur ermöglicht, und zudem Daten und Privatsphäre der Schreibenden schützt.

Youngle (www.youngle.it) ist jedoch nicht nur eine App, es ist auch ein landesweites Netzwerk örtlicher, sich dem Gehör für Jugendliche widmender Realitäten. Die App Youngle ist dabei an folgenden Orten aktiviert: Turin, Novara, Cremona, Savona, Neapel, Piacenza, Perugia, Verona, Siena, Udine, Lodi und Aosta.

W.: – Es wäre wohl wunderschön, wenn sich diese reichen Erfahrungen noch weiter wirksam ausbreiten würden. Welche Ziele setzt ihr euch und für wen – mit dieser Art Online-Gehör?

L.: – Die Zuhör-Chat wendet sich an Klassen Jugendlicher zwischen 10 und 35 Jahre (andernorts vor allem an 16- bis 18-Jährige). Die Grundziele bestehen darin, den Jungen einen sicheren Rahmen zu bieten, in welchem sie Gehör und Unterstützung erhalten können, mit ganz viel Freiheit anstatt Werturteilen. Eine Gelegenheit zum Austausch über verschiedenste Themen mit Gleichgestellten zu erhalten, erweist sich für sie als sehr wertvoll. Gleichzeitig können hierbei auch Informationen zu örtlichen Hilfsangeboten vermittelt werden. Wir haben im Jahr 2021 an 95 Abenden 204 Gespräche mit 64 Jugendlichen über diese Chat geführt.

W.: – Kannst Du uns noch näher erklären, wie das in dem Projekt abläuft? Wer sind – auch vom Bildungsstand her – die Jugendlichen, die mittels der App solche Kontakte anbieten?

L.: – Bei den Chats antworten junge Freiwillige, die im Zuhören vom Verein A.M.A. geschult wurden, so dass sie darauf vorbereitet sind, zu verschiedensten und auch heikelsten Themen ins Gespräch zu treten. Alle Freiwilligen erhalten zudem monatlich zwei Stunden Supervision seitens einer Psychotherapeutin und nehmen im Gruppenformat an Fortbildungen und Arbeitssitzungen teil.

Die Macht dieses Projekts gründet auf der Beziehung zwischen Gleichgestellten. Wer sich schriftlich im Chat meldet, steigert seine eigenen Ressourcen indem ihm ein bezüglich Alter und Lebenserfahrungen “Gleichgestellter” Gehör und Unterstützung bietet.

W.: – Das leuchtet mir sehr ein. Und wie war daraufhin das Echo der Jugendlichen? Wer ruft euch denn an? Welches sind die Probleme, die dabei aus der Lebenswelt Jugendlicher hervortreten?

L.: – Die Mädchen und Jungen die schreiben, beschäftigen die unterschiedlichsten Themen. Diese handeln von der Schule, der Familie, der Angst vor der Zukunft oder schon vor dem nach Draussen gehen, von der Einsamkeit, den Liebschaften, der Schwierigkeit, sich gegenüber Anderen zu öffnen, von der Depression.

Die Chat ist dabei keineswegs nur ein Ort, wo das Leiden aufgenommen oder umfasst wird, sondern auch ein heiterer Moment in dem man sich einfach die eigenen Tagesereignisse erzählen kann. Man begegnet auf der anderen Seite des Geräteschirms jemanden, der dem, was wir zu sagen haben, unvoreingenommen zuhört.

W.: – Die Bilanz dieser Erfahrung ist also schon nach wenigen Jahren positiv? Hat die App dabei mehr Schwierigkeiten oder mehr Erfolge bereitet?

L.: – TRA-DI-NOI Youngle beweist, dass Technologie durchaus auch zum Guten verwendet werden kann, und dass man sich auch über einen trennenden Bildschirm hinweg nahekommt. Sicherlich fehlt es in der Chat-Kommunikation an Körpern, Stimmen, Blicken des Gegenübers: aufmerksame Worte können jedoch gerade dann sehr wirksam werden, wenn man Mühe hat, sich gegenüber der äusseren Welt zu öffnen. Die Selbsthilfe hat hier so sicherlich eine neue Entwicklungs-Dimension gefunden.

W.: – Und wie steht es mit den Zukunftsaussichten?

L.: – Wir arbeiten daran, noch mehr Jugendlichen dieses Projekt näher zu bringen und hierzu neue Freiwillige mit an Bord dieser wichtigen Form des Zuhörens via App zu holen. Die virtuellen Anbindungen sind nämlich nicht zu wenig real, sondern ein erster grundlegender Schritt dahin, zu spüren, dass einem zugehört wird, und sei es auch nur im Chat.

Nachgedanken

Nach dem Gesprächlein mit Linda gehe ich meinen Gedanken nach. Das Internet kann sicherlich oft als ein hinterhältiger Ort gelten, wo die Jugendlichen, «überkonnektiert», Gefahr laufen, “krankhafte” Beziehungen einzugehen und traumatische Erfahrungen zu erleiden.

Und dennoch kann es, mit einer vertretbaren Anstrengung, zu einem mächtigen Werkzeug werden, womit gerade unseren Jugendlichen Gehör und Unterstützung kostenlos und anhaltend angeboten werden, indem hierzu die Kommunikationskanäle Einsatz finden, die ja nunmehr bereits fester Bestandteil ihrer Lebenswelt sind.

Lasst uns also hoffen, dass sich auf dem ganzen italienischen Territorium weitere Zuarbeiter für das Projekt Youngle finden lassen!

Wilma A. R. di Napoli

 

Bibliographie

  1. Zygmunt Bauman. Flüchtige Moderne. Suhrkamp: Frankfurt/M. 2003 ISBN 9783518124475. 269 S.

  2. Broadbent, Jaclyn; Lodge Jason M.: Use of live chat in higher education to support self- regulated help seeking behaviours: a comparison of online and blended learner perspectives. Int J Educ Techinol High Educ. 2021; 18(1): 17. [www.researchgate.net/publication/350664427]

  3. Pretorius, Claudette; Chambers, Derek; Coyle, David: Young People’s Online Help-Seeking and Mental Health Difficulties: Systematic Narrative Review. J Med Internet Res. 2019 Nov; 21(11): e13873. [www.researchgate.net/publication/335270398]

  4. Shalaby, Reham; Agyapong, Vincent Israel Opoku: Peer Support in Mental Health: Literature Review. Journal of Medical Internet research Ment Health. 2020 Jun; 7(6): e15572. [www.researchgate.net/publication/339296693]

Wissensquellen:

In der SCHWEIZ bietet Pro Juventute unter 147 bereits viele Peer-CHAT an: auf Italienisch, Deutsch, Französisch.

TRENTO: Telefon/WhatsApp: +39 340 6664158 - TRA-di-NOI, via Torquato Taramelli, 17 38122 Trento - E-mail:Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Web: https://tra-di-noi.com/

Facebook: TRA-di-NOI Youngle Trento App Youngle (Lepida S.c.p.A.): https://play.google.com/store/apps/details?id=it.com2000.youngle&gl=US

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