Der «Depression von heute» gemeinsam begegnen!

 

Gottfried R. S. Treviranus

 

Depressionen bedingen in Wohlstandsländern die schlimmste Krankheits-Last und werden selbst in diesen erstaunlich ungenügend angegangen. Frauen- und Klimastreik haben Akzente gesetzt, die eng mit der «Depression von heute» verwoben sind. Es ist Zeit, neue Ziele zu setzen!

 

Mittiges Paradies mit Wolken

Die «Depression von heute» hat in den letzten Monaten Konturen gewonnen. Positive oder eben negative Gefühle hat die Natur nicht als Spielerei unseres psychischen Haushalts hervorgebracht, sondern um Aufbau oder eben Abbau und Zerstörung spürbar werden zu lassen.

Kaum je haben sich mit der Klimakrise derartige Szenarien der Zerstörung vor uns aufgebaut. Gleichzeitig tragen global gerade auch Frauen besonders diese Last und jene der unipolaren Depressionen.

Bei diesen Herausforderungen sollten wir wenigstens die «Depression von heute» besser behandeln. Aber wie bei der Klimakrise reagieren wir bestenfalls mit einem Rückzug auf Lustmomente, die oft depressiv anmuten.

Auf der europäischen Kreuzung Schweiz herrschen zwar, was die Befindlichkeit der Bevölkerung und Finanzierung der Depressions-Eindämmung angeht, einmalig günstige [1,2] Zustände: Die Dichte an (zwar überalterten [3,4]) PsychiaterInnen ist die OECD-höchste und „Die grosse Mehrheit der Bevölkerung empfindet“, so sagt sie [5], „sehr viel häufiger positive Gefühle». Und doch: «18% (...) weisen Symptome einer mittleren (13,4%) oder hohen (4,6%) psychischen Belastung auf.“ Zudem: „6% der Männer und 7% der Frauen litten 2012 an einer mittleren bis schweren (…) Major Depression.“ Die Depressionen haben wenig zugenommen, doch die Suizide haben sich durch die assistierten fast verdoppelt [1,6].

Dürfen wir dies so hinnehmen? Und wo in Europa, wenn nicht auf der Kreuzung Schweiz, könnte man sich auf allen Ebenen zusammentun, um dieses „Übel“ besser anzugehen? Der „Standortvorteil“ wäre beachtlich, ein „ROI bis zu 4“ bei 1300 CHF Kosten per capita [7] attraktiv, die Erkenntnisse durch Depression blieben erhalten.

Aber eben, reden wir überhaupt darüber? PolitikerInnen aller Lager scheuen das Thema sehr.

Aus den Global Burden of Disease-Daten[8] lässt sich für Länder Europas ablesen, dass es bei der bisherigen Verbesserungsrate „lange bis nie“ dauern würde, um Depressionsraten auf ein Zehntel der heutigen zu bringen.

 

 

Ed Bullmore´s «Entzündete Seele» [12] spricht die auch 2019 anhaltende kartesische Leib-Seele-Spaltung an: Nicht nur Widrigkeiten verursachen «sozio-Psycho-Neuro-Endokrino-infektio-Immunologisch» [9,10,11] Depressionen als eine evolutionäre Bremse des kostspieligen Aufbegehrens, sondern auch weitere medizinische Gründe. Was zur Eindämmung der Depression nötig wäre, wird zum guten Teil gewusst, aber, ideologisch fragmentiert, nur ungenügend umgesetzt. «Swiss Pharma» setzt mittlerweile auf Onkologika für wenige: gegen Depression hofft man auf "Messungen" und Stammzellen [13,14].

 

Depress less! Mehr Frauen-Ermächtigung durch Depressionsbehandlung

 

Lebensjahre, die proportional "zur Beeinträchtigung" geschmälert wurden, sog. DALYs [17] beleuchten, dass im Vergleich zu den Nachbarn und Griechenland (GR) die Schweiz fast so gut wie Österreich dasteht, aber es Mädchen doppelt so schlecht geht.

 

 

Schweizerinnen bezeichnen sich zudem auch als um einige Prozente nervöser, niedergeschlagener und entmutigter als die Männer [18].

 

Psychisches Wohlergehen und Gewalt gegen Frauen und Mädchen stehen momentan auch im Zentrum der WPA und WHO [19,20]. Die hierfür zentralen Diskurse der Frauenbewegung sind in den reichen Ländern, was nicht primär psycho-soziale Aspekte angeht, leider bestenfalls «anti-medikalisierend» oder erfreulicherweise «pro-LGBT*QIA» [21] unterwegs: den Versorgungsfragen bei Depression gehen sie aus dem Weg.

 WPA World Psychiatric Association www.wpanet.org - WHO World Health Organization

 

Antidepressiva machen Hyperthyme wütend

Die Unbeliebtheit der Antidepressiva ist auch dem Unverständnis für die Studienmethoden geschuldet [22; S.4]. Die Stimmung Depressiver bessert sich verlässlich [23]. Weit deutlicher würde das, täte man bei Erhebungen nicht die Muster zerstören [26]. Depressive interessiert das «Mehr» an Genesung gegenüber dem Spontanverlauf unter «Placebo»: es liegt, unter Verdünnung der traurigen Stimmung durch Unspezifisches gemessen, nicht bei 20%, sondern bei 1,67-mal [27,28,29], gemäss der wichtigsten Meta-Analyse [30]. Depressive mit affektiven Tempera-menten [31] «switchen» unter Antidepressiva in Verärgerung [32,33], was sich auch auf ihre Bewertung von Antidepressiva oder in «Persönlichkeitsstörungen» auswirkt, hinter denen sich, oft unbehandelte «mehr subkortikale» affektive Temperamente oder mehr Biographisches [34] verbirgt.

 

Rechtzeitige Behandlung durch schrecklich vereinfachende Studien vereiteln?

Die deutsche «S3-Leitlinie» [35] zitiert zu „leichten“ Depressionen eine (!) valable Studie [36]. Gerade die früh eingenommen doppelt wirksame Therapie [37,38,39] reduziert bleibend die Langzeit-Therapien. Was sind bei dieser Sachlage Antidepressiva bei leichten Depressionen jedoch für die Presse? Zuviele übelkeitserregende «Placebos» [40]! Genau von diesem «Sissi-Syndrom», den oft durch Hypomanes maskierten "leichten" Depressionen [41] her, wurde der Angriff der IV-Revision 6 auf die Berentungsrechte (als Plagiat) [42,43,44,45] aufgegleist. Die psychiatrie-kritische Linke hatte hier unglückliche Vorarbeit geleistet.

Die trotz Nationalfleiss [46] schändlich schwache Wiedereingliederung wurde mittels des «Burnout»-Labels den Arbeitgebern zugeschoben. Erst jetzt dürfen diese «Gebrannthabenden» auch hypoman-überaktiv genannt werden [47,48]. Bei Depression sollte immer nach Bipolarität bei ca. 1:5 gefahndet werden [49], denn hier sind Antidepressiva riskant [50].

Kinder dürften unter dem BAG-offiziellen Weglassen der Bipolarität [54], die bereits bis 18 J. mit 1,8% schweren Fällen vorkommt [51,52], leiden [53] - oder versterben: so auch am Desinteresse an der „SCT/Konzentrations-Störung“, die sich hinter 4/5 der ADHS ohne Hyperaktivität verbirgt und mit kurzen Schlaf- und krassen Depressionseinbrüchen einhergeht [54].

Schreckliche Vereinfachungen nicht ganz einfacher Zusammenhänge [55] durch ausgewiesene Fachleute setzen Korrelation [56] ohne Moderation durch Grundlagen-Einsichten [59,60,61] als Kausalität [57,58]. Für die wirksame kombinierte [62] Sozio-, Pharmako- und Psychotherapie [63,64,65] mit «Therapieresistenten» bezeugen sie oft wenig Verständnis.

Klärungen für uns und die in die Klimar-Krise Hineinwachsenden [66] tun daher Not. Die seit 2004 bestehende «Europäische Depressions Assoziation» [67] trägt hierzu bei.

Literaturangaben:

  1. Schuler D et al. Psychische Gesundheit in der Schweiz. NE: Obsan. 2016; 72.

  2. Barben J. Quo vadis bezahlbare Medizin?* Schweiz Ärzteztg. 2018;39:1332-5

  3. Barben D. «Bald wird es zuwenig Psychiater geben». Der Bund;10 Sep 2018:15

  4. Kuhn D. Fehlen bald tausend PsychiaterInnen? Woz;26 Feb 2015:9.

  5. Bundesamt für Statistik. Schweizerische Gesundheitsbefragung. Taschenstatistik 2017.

  6. Richter D, Berger K. Nehmen psychische Störungen zu? (...).Psychiatr Prax. 2013;40:176-82.

  7. Maercker, A al. The costs of disorders of the brain in Switzerland: (...). Swiss Med Wkly. 2013;143:w13751

  8. IHME. Global Burden of Disease.

  9. Maes M (2011) Depression (…) cell-mediated immune activation is the key (...). Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry. 35:664–75

  10. Pereira LP et al. Imaging genetics paradigms in depression (...). Prog Neuropsychopharm Biol Psychiatry. 2018;86:102-13.

  11. Najjar S, et al. Neurovascular unit dysfunction (...) major depressive disorder: (...). J Neuroinflamm. 2013;10:142.

  12. Bullmore E. Die Entzündete Seele. Ein radikal neuer Ansatz zur Heilung von Depressionen. München: Goldmann, 2019. Video

  13. Dougherty E. Novartis researchers are searching for more effective ways to discover drugs for neurological and psychiatric diseases. 30.07.2018.

  14. Sun Y, Dolmetsch RE. How induced pluripotent stem cells are informing drug discovery in psychiatry. Swiss Med Wkly. 2016;146:w14241.

  15. Müller A. Big Pharma braucht ein Potenzmittel. Sonntagszeitung;2018;30 Sep:38-9

  16. Stott K. Pharma`s broken business model. Part 1: (...). [www.catalyticds.com].

  17. IHME. Global Burden of Disease compare.

  18. Bundesamt für Statistik. Gesundheitsstatistik 2012. G27 Gemütszustand. & Excel.

  19. World Psychiatric Association. Action plan 2017 – 2020.

  20. WHO. Responding to children and adolescents who have been sexually abused. 2017.

  21. LGBTQ. New York Times.

  22. Treviranus G. Die Antidepressiva mit den Placebos auskippen? Schweiz Ärzteztg. 2010;91(1-2): 25 ff. (am Ende 4. bis 7. Seite).

  23. Kommentar zu: Hieronymus F, et al. Mol Psychiatry. Consistent superiority of SSRIs over placebo in reducing depressed mood (...) major depression. 2016;21:523-30.

  24. Geddes, J, et al. (2003) Relapse prevention with antidepressant (…) depressive disorders: a systematic review. Lancet. 2003;361:653–61

  25. Sim K et al. Prevention of relapse and recurrence in adults with major depressive disorder: Systematic review and meta-analyses of controlled trials. Int J Neuropsychopharmacol. 2015;19:1-13.

  26. Berwian IB, et al. Die Antidepressiva-Absetzstudie AIDA. Rückfallvorhersage nach Absetzen von Antidepressiva. Medizin Aktuell PMM. [www.quentinhuys.com]

  27. Rhimer Z et al. Psychiatry should not become hostage to placebo: (...) in depression. Eur Neuropsychopharmacol. 2012;22:782-6.
  28. Gispen-de Wied C et al. The placebo arm in clinical studies (…) regulatory dilemma. Eur Neuropsychopharmacol. 2012;22:804-11. doi:10.1016/j.euroneuro.2012.03.007.

  29. Fountoulakis KN, Möller HJ, 2011. Efficacy of antidepressants: (…) Kirsch data. Int. J.Neuropsychopharm. 14 (3), 405–412.

  30. Walsh B et al. Placebo response in major depression: (…) . JAMA. 2002;287:1840–7.

  31. Treviranus G. Affectivités entre tempéraments et troubles. Schweiz Ärzteztg. 2016;97:347-8.

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  8. M. Richter-Werling. [www.irrsinnig-menschlich.de]

  9. European Depression Association (EDA). EDA Italien.

 

Interessenverbindungen: Keine finanzieller Art. Der Autor fungiert als Schweizer Vertreter für den Verbund der Europäischen Depressions Assoziation.

Korrespondenzadresse: Eudepras (CH) c/o Gottfried Treviranus, FMH Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Vereinsweg 11, 3012 Bern.